Stephan Dengler
Anhörungs-, Klage- und Integrationsbegleitung bei ArrivalAid
Wie bist du zu ArrivalAid gekommen?
Das hat 2 Stufen: Ich habe Ende 2015 begonnen. Da hat sich in Laim ein Helferkreis gebildet. Da gab es 2 Unterkünfte, gibt es immer noch, wo wir verschiedene Sachen gemacht haben. Organisiert wurde der Helferkreis vom Pfarrverband Laim. Die haben da immer wieder Vorträge gemacht. Und dann gab es da einen Vortrag über Asylverfahren und Asylrecht. Ich hatte keine Ahnung von dem ganzen Kram. Null. Und im Vortrag hat dann jemand über das Asylverfahren erzählt und er hat den Satz gesagt: „Bei der Anhörung möchte ich nicht allein sein.“ Also wenn es mich beträfe, würde ich da nicht allein durchmüssen wollen. Und das ist bei mir hängengeblieben. Aber da ist noch nichts passiert. Das war Mitte 2016.
Und dann hat eine Kollegin aus dem Helferkreis erzählt, dass sie bei ArrivalAid in der ersten oder zweiten Schulungsrunde dabei war und da habe ich zum ersten Mal gehört: Ah da gibt’s was. Und durch den Kontakt mit den Geflüchteten, die da schon da waren, ist dann die Idee entstanden: Das könnte was sein, das wichtig ist.
Und zusammen mit dem Satz: „Da möchte ich nicht allein sein.“ Das hat mich dann über ein Vierteljahr begleitet, bis dann irgendwann die Werbung kam, wir machen noch eine Ausbildungsrunde, bewerbt euch. Und das wars dann. Dann habe ich gesagt: Ja okay, das probiere ich.
Wie lange bist du schon bei ArrivalAid?
Meine Schulung als Anhörungsbegleiter war im Februar 2017.
Hast du gezielt nach einem Ehrenamt gesucht?
Nein. Über persönliche Freundschaften mit Menschen aus anderen Ländern ist mir die ganz eigene Lage von jemandem, der hier nicht dazugehört, deutlich geworden. Und das lässt mich nicht unberührt. Das sind Freunde von uns, die wohnen in Frankreich und sind ursprünglich aus Marokko/Tunesien. Eine Familie. Sie sind inzwischen Franzosen mit Pass und so weiter. Und es gibt immer wieder Momente, in denen ihnen deutlich gemacht wird: „Du bist hier fremd. Du gehörst hier nicht dazu.“ Für mich ist das dieses Kindergartenspiel: „Du darfst nicht mit uns im Sandkasten spielen.“ Und das kann ich nicht verknusen. Und das hat mich eigentlich dazu gebracht, dass ich dann gesagt habe: Für die Flüchtlinge möchte ich etwas tun. Hier möchte ich ein freundliches Gesicht zeigen.
Hast du ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist im Rahmen deines Engagements für ArrivalAid?
Ich hatte ein Erlebnis in der Klagevorbereitung. Da war ein junger Mann aus Somalia. Und der kam zur Klagevorbereitung und hatte die Anhörung ohne Vorbereitung gehabt. Die Anhörung ging dementsprechend ziemlich schief und war auch juristisch nicht haltbar. Das hat sich im Gespräch mit ihm dann herausgestellt. Denn die Anhörung war auf Deutsch. Er konnte zu dem Zeitpunkt der Anhörung aber nur sehr schlecht Deutsch. Warum kein Übersetzer da war, konnte man nicht klären. Jedenfalls hat er uns damals erzählt: Die Anhörung lief schlecht, denn ich konnte schlecht Deutsch und ich habe zum Beispiel den Unterschied zwischen „gestorben“ und „ermordet“ nicht gekannt. Und da war klar: Okay, das muss richtig schiefgelaufen sein.
Und dann hatte der junge Mann tatsächlich Wunden am Körper, von Angriffen der Milizen. Er konnte also belegen, dass das was er erzählt hat, gestimmt hat, denn er hatte Stichverletzungen an der Seite. Und dann haben wir ihm gesagt, dass er das in der Klage nochmal erklären und zeigen soll. Er war auch super integriert, hatte einen großen Unterstützerkreis an Freunden, hat gearbeitet, eine Ausbildung gemacht usw., eigentlich ein Traum. In der Verhandlung hat er dann einen Schutzstatus bekommen. Da hat der Richter gar nicht lange überlegt, sondern direkt eine Entscheidung getroffen. Das war ein schönes Erlebnis.
Erlebnis Nummer 2: Viel in der Anhörungsvorbereitung ist Einzelkämpfertum. Das ist ganz oft so, weil du natürlich mit einzelnen Menschen zu tun hast. Du kannst nicht mit 10 Mann einen Menschen beraten. Sondern einzeln. Die anderen, die einzeln unterwegs sind, sind z. B. die Dolmetscher von TranslAid. Und was ich ab und zu mache, ist, dass wenn die TranslAid-Leute eine Schulung haben, dann spielen wir da Anhörungsvorbereitung. Und da lern ich dann ganz viele Menschen aus der halben Welt kennen, die diese Schulung machen und die bei ArrivalAid/TranslAid mitmachen. Und das finde ich schön. Zu sehen, dass ganz viele, mit völlig unterschiedlicher Herkunft, dass wir alle miteinander – ich sage jetzt mal sehr pathetisch – an einer besseren Welt mitarbeiten.
Hast du dich bewusst für ArrivalAid entschieden?
Ich habe mich vorher nicht bewusst für ArrivalAid entschieden. Das waren damals einfach die einzigen, die die Anhörungsvorbereitung und -Schulung angeboten haben. Was ich beeindruckend fand und immer noch finde, war der Ansatz. ArrivalAid versucht, die Helfer auf ein sehr professionelles und breites Niveau zu heben. Da war eine Psychologin, die über die verschiedenen Kulturen berichtet hat, da war jemand von der Refugee Law Clinic, der versucht hat, den rechtlichen Rahmen größer zu spannen. „Was ist ein Staat? Wie konstituiert er sich? Warum gibt es diese ganze Gesetzeswelt überhaupt?“ Und das erweitert den Horizont. Und das finde ich super. Dass ArrivalAid versuchst, die Ehrenamtlichen möglichst gut zu schulen und gleichzeitig Grenzen definiert: du bist kein Rechtsanwalt, ihr macht keine juristische Beratung. Und dazu gehört auch das Angebot einer regelmäßigen Supervision. Weil du lernen musst, dich abzuschotten. Du must wirklich ganz brutal die heftigsten Erzählungen verkraften. Das gelingt mit der Zeit immer besser. Aber es gibt auch Themen, die gehen durch diese Schutzhülle durch. Und dann braucht du eine Gruppe, mit der du das besprechen kannst.
Ist eine Schutzhülle Voraussetzung für ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe?
Wenn du im Ehrenamt anfängst, hast du ein offenes Herz. Du bist freundlich und möchtest den lieben anderen Menschen helfen. Das ist schön. Das ist die eine Seite der Medaille.
Und die andere Seite der Medaille lernst du dann tatsächlich während du es machst kennen, die ist nämlich hässlich. Die Menschen kommen ja nicht hierher zu uns, weil es so schön ist, dort wo sie herkommen, sondern weil es fürchterlich ist. Und ich höre Geschichten, die mich sprachlos zurücklassen. Ich verstehe nicht einmal, was da passiert. Die Leute werden erschossen, verprügelt, geschlagen, gefoltert, entführt. Es ist eine Bandbreite von Unmöglichkeiten, die für mich als „normalen“ Mitteleuropäer unvorstellbar waren. Ich lerne etwas völlig Neues kennen, kannte ich nicht, wusste ich in den Details nicht.
Und da muss jeder für sich entdecken: Wie entwickle ich einen Schutz? Und so ein Schutz muss auch gepflegt werden. Da muss man wirklich auf sich selbst – ich weiß es ist ein blödes Wort – aufpassen, achten. Ich denke schon, dass man das lernen kann. Das muss jeder Feuerwehrmann, Polizist, Notarzt, Krankenhausschwester, Altenpfleger lernen. Die sehen auch Elend und Not und müssen trotzdem arbeiten. Und das ist das Verrückte: Als Ehrenamtlicher musst du dich da in einem Bereich professionalisieren. Denn wenn du da nur mit offenem Herzen reingehst, dann säufst du ab.
Wie oft engagierst du dich bei ArrivalAid?
Circa 2 mal 3 Stunden im Monat. Und dann kommt noch ein bisschen was, was ich Zuhause im Büro oder nebenbei mache, das lässt sich aber ganz schlecht fassen. Das ist mal mehr, mal weniger.
Das ist auch der Vorteil von ArrivalAid: Du kannst komplett selbst entscheiden: Ich mache so viel oder so viel. Ich mache mehr oder weniger. Ich mache 1 Termin im Monat oder einen alle 2 Monate. Es kann auch ein Irrer jede Woche einen Termin machen, wobei ich aber persönlich ganz stark davon abrate, weil du dich da selbst überlastest. Das ist zu viel des Guten.
Warum engagierst du dich?
Letzten Endes ist es auch ein Gutteil Dankbarkeit. Die Lebenslotterie hat uns zufällig hier in Deutschland auf die Welt kommen lassen. Und die anderen haben andere Karten gezogen. Und ich finde es nicht so schlecht, dass die, denen es besser geht, denjenigen ein bisschen helfen, denen es schlechter geht. Das würde ich mir für mich wünschen, wenn ich in einer schlechten oder schwierigen Lage bin. Und noch mehr, wenn man mal Kinder hat, für seine Kinder. Was möchte ich, was meinem Kind passiert, wenn es aus irgendwelchen Gründen das Land verlassen müsste. Das ist glaube ich auch ein Teil der Motivation.